Koloniale Schönheit mit abgeblättertem Putz

Die ersten Tage meiner Lissabon-Woche verbrachte ich auf einer Konferenz in einem etwas gesichtslosen und heruntergekommenen Außenbezirk der Stadt, direkt in der Einflugsschneise des Lissabonner Stadtflughafens. Umso gespannter war ich auf meinen ersten Besuch in der Innenstadt. Nach vier Tagen Konferenz schnürte ich also mein Bündel und machte mich auf den Weg in die Stadt. Meine bessere Hälfte würde am Abend nachkommen und wir würden uns drei Tage Lissabon ansehen. Der erste Weg führte mich zum neuen Hotel mitten im Zentrum bevor ich mich in den Trubel der Stadtbesichtigung stürzte.

Als erstes fallen dem unbedarften Toursten natürlich die berühmten Straßenbahnen auf, die sich quietschend und scheppernd durch die engen und steilen Gassen der Altstadt kämpfen, vor allem die Linie 28. Egal ob man drin sitzt oder die Fahrt von außen beobachtet, es ist immer ein Erlebnis. Die Straßenbahnwagen selbst stammen vom Anfang des letzten Jahrhunderts. Alles ist mit Holz ausgelegt. Von der Decke hängen die alten Haltegriffe aus Leder und der Fahrer kurbelt noch eifrig beim Fahren. Nachdem ich inzwischen das Preissystem des öffentlichen Nahverkehrs durchschaut hatte, kaufte ich mir eine Tageskarte und verbrachte den Rest des Tages damit die Strecke der Linie 28 in beide Richtungen komplett abzufahren. Eine schönere und bequemere Art der Stadtbesichtigung gibt es eigentlich fast nicht 🙂

Für den zweiten Tag stand dann die Eroberung der Stadt zu Fuß auf dem Programm, eine Herausforderung für sich. Lissabon wurde angeblich wie Rom auf sieben Hügeln erbaut. Man merkt es vor allem daran, dass es bergauf geht, sobald man die Hauptschneise vom Landesinneren Richtung Praça do Comércio nach rechts oder links verlässt. Nichthoch, aber so richtig! Deshalb gibt es überall in der Stadt an strategischen Punkten verteilt Aufzüge oder Bergbahnen. Man kann sie mit den ganz normalen Fahrkarten benutzen. Ein besonders schönes Exemplar (das leider gerade restauriert wird) ist der Elevador de Santa Justa, der direkt hinter dem Convento do Carme die Unter- mit der Oberstadt verbindet. Ein weiterer Vorteil, es gibt unendliche Aussichtspunkte verteilt in der Stadt, die einen herrlichen Rundblick über das bunte Häusergetümmel und den Tejo bieten.

Highlight jeder Besichtigungstour ist laut Reiseführer das Schloss, dass sich oberhalb der Alfama über einen der Hügelkuppen hinzieht. Ehrlicherweise muss man sagen, dass vor allem der Ausblick das Eintrittsgeld lohnt. Vom Schloss selbst stehen nur noch ein paar Mauern. Das ist übrigens ein generelles Problem in Lissabon. Durch das Erdbeben 1755 wurde so viel zerstört, dass nur noch wenig echte Sehenswürdigkeiten übriggeblieben sind. Das betrifft beispielsweise auch die Kirchen. So gut wie alle wurden bei dem Unglück fast vollkommen zerstört und wurden später in abgespeckter Variante wieder aufgebaut. So gibt es – etwa im Vergleich zu Barcelona oder Madrid – nur noch wenig, das historisch oder kulturell interessant wäre. Uns wurde das erst mit der Zeit klar, als wir, genervt von den ständigen Regengüssen, nach Indoor-Varianten zum Sightseeings suchten. Es gibt sie einfach nicht. Und so arbeiteten wir uns von Cafe zu Cafe vor in der Hoffnung, dass der nächste Regenguss der letzte sein würde.